Titelthema Focus 41/2020: „Die neue Sehnsucht nach dem Land“; FAZ Quarterly 4/2020: „Der Traum vom tollen Landleben“; Kommunal 11/2020: „Zieht aufs Land – bevor es zu spät ist“; …. – die Liste ließe sich beliebig fortführen!
Die Einstellung der Menschen zu Wohnen, Arbeiten und Leben verändert sich nicht erst seit Beginn der Corona-Krise. Sie hat aber durch Corona eine neue Dynamik erfahren. Und, da waren sich Immobilienexperten, Kommunalpolitiker und Zukunftsforscher am 4.11.2020 beim Heuer Immobiliendialog in Offenbach einig, sie wird auch nach Corona nicht wieder zum vorherigen Zustand zurückkehren.
Mit einem durchdachten Hygienekonzept und zahlreichen online zugeschalteten Immobilienfachleuten beschäftigte sich die Tagung mit der Entwicklung der Rhein-Main-Region. Ich wurde dazu eingeladen, mit einem Impulsvortrag mit dem Titel „Die neue Landlust?!“ die Perspektiven aus Sicht einer ländlichen Region im Umfeld des Ballungsraumes zu beleuchten.
Alle Redner und Diskussionsteilnehmer der Veranstaltung erwarten, dass sich die Metropolregion Rhein-Main auf völlig neue Entwicklungen einstellen muss. Ein Fazit der Veranstaltung: Der starke Zuzug vom Land in die Großstädte wird sich abschwächen, teils sogar umkehren! Und, so belegt es eine jüngst von der UBS Großbank vorgestellte Studie, die Gefahr einer Immobilienblase und die damit verbundenen Risiken sind derzeit in Frankfurt und München weltweit (!) am größten.
Insofern ist es fatal, dass sich die Hessische Landesregierung weiter auf den „Frankfurter Bogen“, den Neubau von 200.000 Wohnungen direkt im Umland von Frankfurt konzentriert und ihre Förderung darauf ausrichtet, statt ein attraktives Städtebauförderungsprogramm für die ländlichen Räume aufzulegen. Ich habe dies in der Vergangenheit, immer wieder öffentlich stark kritisiert.
Prominentester Redner der Veranstaltung war der renommierte Zukunftsforscher Matthias Horx. „Er werde oft gefragt, wann der Corona-Spuk vorbei sei und wann man wieder so leben werde wie zuvor“. Seine Antwort: „Nie“! Epidemien, so Horx, hätten seit jeher einen besonders starken Einfluss auf die Gesellschaft und verändern Gewohnheiten. Die Menschen hätten innerhalb kürzester Zeit gelernt, zuhause zu arbeiten und mit moderner Medientechnik umzugehen – „das wird ihr künftiges Verhalten prägen. Und die Firmen profitierten davon, sagte Horx.
Der Wissenschaftler sieht die Hochphase der Globalisierung dem Ende entgegengehen und den Trend zur Verstädterung gebrochen. „Zuwachsraten von zwei oder drei Prozent wird es in den Ballungsgebieten nicht mehr geben.“ Glokalisierung ist das Zauberwort der Stunde, das Lokale, das Regionale, die Verdörflichung von Städten und der urbane Einfluss auf die Kleinstädte und Dörfer.
Ähnlich fiel die Prognose von Franz-Josef Lickteig, Geschäftsführer der Frankfurter Immobilienfirma BPD, aus: Die Attraktivität der Großstädte beginnt abzunehmen. Das Internet gleiche Unterschiede zum Land in der Arbeitswelt aus: „Ich muss meinen Körper nicht mehr transportieren.“ So werde die Verkehrsmenge abnehmen. Lickteig stellte deshalb sogar infrage, ob der öffentliche Nahverkehr wirklich weiter ausgebaut werden sollte. Hohe Wohnkosten, Kriminalität, ein zurückgehendes Niveau der öffentlichen Schulen und klimatische Veränderungen werde das Leben in Ballungszentren zunehmend unattraktiv für jene machen, die sich ein Haus auf dem Land leisten können. Das zeige sich bereits an der Kundennachfrage bei seiner Firma. Hinzu steht zu erwarten, dass künftig das autonome Fahren und bald auch Flugdrohnen Entfernungen zwischen Stadt und Land völlig egalisieren.
„Homeoffice wird maßlos überschätzt“, erklärte dagegen Michael Denk vom Büroflächen-Vermittler Quadoro Invest GmbH. Im dunklen und kühlen November zeige sich, dass diese Arbeitsform für viele Menschen unattraktiv sei. „Ich glaube nicht, dass Homeoffice langfristig schädlich ist für die Büronachfrage.“
Mit dieser Einschätzung stand Denk allerdings allein. Hybridlösungen, so die einhellige Meinung, werden das Arbeiten der Zukunft bestimmen, 3, 4 Tage zu Hause und 1, 2 Tage mit den Kolleginnen und Kollegen im Büro. Dadurch entstehen Win-Win-Situationen, für Arbeitnehmer und für Firmen, die ihre Büroflächen deswegen reduzieren können.
„Homeoffice in einem Haus im Grünen ist etwas völlig anderes als in einer kleinen, tristen 2-Zimmer-Wohnung in der Stadt, schlechtesten Falls mit Blick auf den Hinterhof“, entgegnete ich der Einschätzung von Michael Denk bei meinem Impulsvortrag. Während des Lockdowns sind viele junge Menschen in den Odenwald zurückgekehrt, die zuvor „in Scharen in Richtung der Ballungszentren gezogen sind“. Diese jungen Menschen sind beim aktuellen November-Lockdown wieder da und kamen auch in den Sommermonaten, als die Corona-Zahlen niedrig waren. „Homeoffice im Grünen, und nach einer langen Online-Konferenz die Laufschuhe anziehen oder sich aufs Mountainbike oder Rennrad setzen, dass ist eine ganz andere, zeitgemäße Lebensqualität, die auch zunehmens junge Generationen schätzen. Und klettern in einem Klettersteig in der Natur ist auch ein ganz anderes Erlebnis als die Kletterhalle in der Stadt“. Gleichzeitig geht die Verkehrsbelastung merklich zurück, hybrides Arbeiten, die Kombination aus Homeoffice und Betrieb, wird deshalb attraktiv. Wie schon einmal in den 1970er Jahren gebe es aktuell schon einen starken Zuzug aus den Städten in die ländlichen Räume, ein Haus im Odenwald zu finden, ist aktuell gar nicht so einfach. Allerdings bergen gerade die „Neubaugebiete der 1970er Jahre Potentiale für Zuzug: viele dieser Immobilien werden aktuell nur noch von ein oder zwei hochbetagten Personen bewohnt. „Diese Gebäude werden in den nächsten Jahren auf den Markt kommen und in attraktiven Wohnlagen zu Preisen verfügbar sein, für die man in Frankfurt maximal eine kleine Eigentumswohnung in C-Lage bekommt, wenn überhaupt.“ Nachfrage ist bereits heute da, vor allem von Familien.
Neue Kraft fürs Land – das war einmal eine Initiative der SPD in Hessen. Zwischenzeitlich sind Jahre vergangen und die politischen Gewichte haben sich verschoben. Das Denken in Metropolregionen, der Wettbewerb zwischen den Großräumen Rhein-Mein, London, Paris und mehr prägt die Politik in Hessen. Milliarden für die Verkehrsinfrastruktur und für das flache Land bleibt das Bürgerbuschen, welches dann noch mit viel Tamtam überreicht wird. Das Beispiel lässt sich leicht auf andere Bereiche ünertragen. Nein, so darf es nicht weiter gehen. Da ist es gut, wenn Verantwortliche aus dem Umland den Mut haben den Akteuren in Wiesbaden und Rhein-Main die Stirn bieten. Ein Dankeschön an Landrat Frank Matiaske, der sich für den ländlichen Raum in Hessen einsetzt.