Mit Sicherheit haben sie in den Medien schon einmal folgenden Satz gehört bzw. gelesen:
„Heute leben, nach einer Prognose der Vereinten Nationen, rund die Hälfte der Menschen in den Städten, bis zum Jahre 2050 werden es zwei Drittel sein.“
Automatisch wird diese Feststellung damit verbunden, dass die Bevölkerung im ländlichen Raum dadurch schrumpft.
Dieser Satz bezieht sich auf folgende Statistik der Vereinten Nationen, die diese Feststellung augenscheinlich auch so bestätigt. Doch Vorsicht hinsichtlich der Interpretation:
Fakt ist, dass nach dieser Grafik im Jahr 2010, mit rund 3 Milliarden Menschen, etwa die Hälfte der Weltbevölkerung in den Städten gelebt hat und etwa genauso viele auf dem Land.
Im Jahr 2050 werden den Prognosen zufolge etwa 6 Milliarden Menschen weltweit in den Städten wohnen, die Bevölkerung auf dem Land beträgt dann aber nach wie vor etwa 3 Milliarden Menschen.
Nicht Landflucht ist also der Grund für diese Verschiebung sondern die Tatsache, dass zwischen 2010 und 2050 die Menschheit nach den Schätzungen der Vereinten Nationen um etwa 3 Milliarden Menschen wachsen wird und sich dieses Wachstum in den Städten vollzieht.
Dies passiert allerdings nicht in den westlichen Industrienationen, wo die Bevölkerung schrumpfen wird, sondern in den Giga-Citys dieser Welt, in Asien, Afrika und Südamerika mit heute schon 10 Millionen Einwohnern und mehr. Für Europa hat die Aussagekraft der Grafik also relativ wenig Relevanz.
Dies gilt umso mehr für Deutschland, schaut man sich nämlich einmal die Datenbasis an, die der Grafik zugrunde liegt:
In Deutschland lebten bereits (im Sinne der UN Bevölkerungsstatistik) im Jahre 1950 (!) 68,1% der Bevölkerung in den Städten, zwischen 1965 und heute hat sich dieser Anteil um lediglich 3,5 Prozent-Punkte verändert.
Da stellt sich natürlich die Frage, warum diese Zahlen für Deutschland so hoch sind?
Die Auflösung liegt in folgender Grafik:
Des Rätsels Lösung: Die Vereinten Nationen haben keine eigene Definition, was Stadt oder Land ist. Sie überlassen dies jedem Mitgliedsstaat selbst. Deutschland hat irgendwann definiert, dass jede Kommune, im Sinne dieser Statistik, mit mehr als 2.000 Einwohner der Stadt hinzugerechnet wird. Daher sind die Werte in Deutschland so hoch.
Die Veränderung in Deutschland zwischen 1950 und heute hat auch nichts mit Landflucht und Wachstum der Städte zu tun. Bis etwa 2003 wuchs die Bevölkerung im ländlichen Raum deutlich stärker als im Ballungsraum. Die Verschiebungen liegen größtenteils darin begründet, dass durch die Zunahme der Gesamtbevölkerung viele kleine Orte über die 2.000 Einwohner-Grenze wuchsen (durch die geburtenstarken Jahrgänge in den 1960er Jahren sowie Zuzug aus dem In- und Ausland).
Tatsächlich fand Bevölkerungsverlust des ländlichen Raums zu Lasten des Ballungsraums in jüngerer Zeit nur zwischen etwa 2003 und 2014 statt.
Das Wachstum der Städte resultiert seitdem alleine durch Zuzug aus dem Ausland:
Der Grund für den Bevölkerungsverlust im ländlichen Raum findet sich auf folgender Grafik:
In Deutschland sterben seit Jahren deutlich mehr Menschen als geboren werden, sowohl in der Stadt als auch auf dem Land. Dieses Missverhältnis wird sich in den nächsten Jahren noch einmal deutlich verstärken. Durch den Zuzug aus dem Ausland, der überwiegend in den Ballungsräumen stattfindet, fällt dies dort nicht auf, wohl aber in den ländlichen Räumen, mit niedriger Ausländerquote. Ist diese Quote in ländlichen Räumen hoch (z.B. durch entsprechendes Arbeitsplatzangebot) dann hat die betreffende Region in der Regel auch dort nicht mit Bevölkerungsverlusten zu kämpfen.
Wie sich diese Faktoren für Deutschland durch ein verändertes Wohnverhalten bedingt durch Corona, die Digitalisierung und den Eintritt der Baby-Boomer-Generationen in den Ruhestand verändern werden, bleibt abzuwarten.
Spannend bleibt auf jeden Fall auch die Frage, wenn die Prognosen so zutreffen und sich weltweit die Stadtbevölkerung von 2010 bis 2050 verdoppeln wird, was dies für Auswirkungen auf die Lebensqualität der Menschen dort haben wird.
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