Das Dorf der Zukunft

Nach Corona? Die „neue“ Landlust?

Das 19. Jahrhundert war das Zeitalter der Weltreiche, das 20. Jahrhundert das Zeitalter der Nationalstaaten und das 21. Jahrhundert wird das Zeitalter der Städte sein!“

Diesen Satz formulierte Wellington Webb, früherer Bürgermeister der Stadt Denver. Er formulierte ihn vor „Corona“.

Wie sich die Städte „mit“ und irgendwann vielleicht „nach“ Corona entwickeln werden, steht in den Sternen.

Immer größer, lauter, hektischer, voller – was seither Sprengstoff in Gestalt von immer weniger bezahlbarem Wohnraum, schlechter Luft und überlasteter Nahverkehrssysteme war, hat nun einen weiteren, unsichtbaren Gegner: das Virus und seine heimtückische Ansteckungsgefahr.

Kontaktverbote und Abstandsgebote sind schwer in den Metropolen dieser Erde einzuhalten. Eine menschenleere Friedrichstraße in Berlin und Frankfurter Zeil auf Dauer? Oder, nach einer kurzen Zeit der Vorsicht, eine neue Unbekümmertheit?

Das Coronavirus SARS-CoV-2, Erreger der Lungenkrankheit COVID-19, hat uns dramatisch vor Augen geführt, wie eng die globale Welt zusammengewachsen ist und wie anfällig sie dadurch wurde. Dies gilt nicht nur für die schnelle Ausbreitung von Viren, sondern auch für die Abhängigkeit globaler Lieferketten und Arbeitsteilungen.

Globalisierung erfordert Effizienz – immer schneller, billiger, mehr. Dies sind Attribute der Städte. Da Deutschland auf unbedingtes Wachstum angewiesen ist, hat die Politik der letzten Jahrzehnte alles darauf ausgerichtet, Effizienz zu fördern und Entwicklungen dem Markt zu überlassen.

Übersehen hat sie dabei, dass Kapital der höchsten Rendite folgt und Entwicklungen dort nicht stattfinden, wo die Renditeerwartungen der Investoren und Konzerne nicht erfüllt werden. Der fehlende Breitbandausbau und die mehr als mangelhafte Mobilfunkversorgung im ländlichen Raum sind Paradebeispiele für eine solche Entwicklung. Gleiches gilt für den Mangel an Landärzten.

Die Landschulreform in den 1960er Jahren (lange ist es her, damit begann aber tatsächlich der systematische Niedergang der Dörfer), die Gebietsreform in den 1970er Jahren, später dann die Bahnreform mit Stilllegung „unrentabler“ Bahnstrecken, Bundeswehrstrukturreform mit der Schließung zahlreicher Bundeswehrstandorte im ländlichen Raum, die Postreform mit der Privatisierung der Post-, Postbank- und Telekommunikationsdienstleistungen, die verschiedenen Gesundheitsreformen und Privatisierungen im Gesundheitswesen, das System der „Zentralen Orte“ mit seiner Fokussierung auf die Oberzentren, dem Wirken der Treuhand in den neuen Bundesländern nach der Wiedervereinigung und vieles mehr, dass alles diente der Effizienzsteigerung. Auf der Strecke blieb die Infrastruktur im ländlichen Raum. Globalisierungsverlierer waren aber auch früher industriestarke Regionen, wie beispielsweise das Ruhrgebiet.

Dies führte ab 2005 zu einer Abwanderung aus den ländlichen Gebieten und zu einer Zuwanderung in den Ballungsräumen. Ironie des Schicksals: Im Jahr 2005 erschien die Erstausgabe der „Landlust“ die sich bis heute, parallel zum Bevölkerungswachstum deutscher Städte, zu einem der auflagenstärksten Magazine im deutschsprachigen Raum entwickelt hat.

Umfragen zufolge spiegelt diese „Landlust“, bereits vor Corona, eigentlich auch die tatsächlichen Bedürfnisse der Menschen wieder: der weitaus größte Anteil der deutschen Bevölkerung, besonders ausgeprägt ab dem Zeitpunkt der Familiengründung, so Umfragen der Bundesstiftung Baukultur und des Emnid-Instituts, würde ein Leben im Dorf oder einer Kleinstadt im ländlichen Raum bevorzugen, wenn dort die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen erfüllt wären. Bisher hat letzteres die nationale Politik allerdings vernachlässigt. Von der grundgesetzlich garantierten „Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse“, keine Spur.

Genau dieser Punkt könnte sich aber durch den Digitalisierungsschub, den Corona mit sich gebracht hat, ändern: Seither waren die guten Jobs überwiegend im Ballungsraum zu finden. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die, in kürzester Zeit entstandenen, Home-Office-Strukturen künftig das Leben dort attraktiv machen, wo es seither zwar schon attraktiv war, allerdings die guten Jobs seltener zu finden waren: im Grünen!

Diese Dynamik hat das Potential, die Entwicklung der letzten Jahre und Jahrzehnte nun zugunsten ländlicher Regionen auf den Kopf zu stellen. So mancher „entflieht“ jetzt der Stadt, die Band „Revolverheld“ hat es in ihrem Hit „Lass uns gehen“ vor einiger Zeit bereits besungen. Dabei wird er oder sie bemerken, dass sich der ländliche Raum in den letzten Jahren deutlich verändert und dieser in Richtung „Urbanem Lebensstill“ aufgeholt hat. Letzteres soll aber kein Plädoyer für ein Hin zu mehr „Starbucks und Primark“, als vermeintliche globale Heilsbringer sein, ganz im Gegenteil: gerade Regionen, die ihre regionalen Besonderheiten, ihre Einzigartigkeiten und ihre kulturelle Identität „fit“ für die neue Zeit gemacht haben und dies weiter tun, werden zu den Gewinnern der Krise gehören. Dies gilt nicht nur für die seither schon attraktiven Tourismusregionen und ballungsraumnahen Gebiete, sondern auch für Kleinstädte und Dörfer, in denen man dies auf den ersten Blick vielleicht nicht erwarten würde. Auch dort ist „die Welt kleiner geworden“. Gerade die neue Kombination von Einheimischen, „Rückkehrern aus der Stadt“ und Menschen, die zum ersten Mal auf dem Land wohnen, werden diese Dynamik erhöhen und für ein neues Selbstbewusstsein auf dem Land stehen. Werner Bätzing hat es in seinem Buch „Das Landleben“ so ausgedrückt: „Wir leben anders als in der Stadt aber keinesfalls schlechter als dort“.

Oder anders formuliert: Man hat nicht dadurch mehr Lebensqualität, dass man auf einer Speisekarte zwischen hunderten von Gerichten wählen kann. Die Qual der Wahl kann quälen und manchmal auch überfordern. Insofern passt der ländliche Raum in den Zeittrend.

Corona wird aber auch globale Lieferketten und Arbeitsteilungen in Frage stellen, wodurch künftig, zusätzlich zu bereits starken Playern aus dem Mittelstand, noch mehr attraktive Arbeitsplätze in ländlichen Regionen entstehen könnten. Platz, der in den letzten Jahren eher durch unattraktive Logistikzentren verbraucht und verbaut wurde, wäre vorhanden. Vielleicht wird das Siegel „Made in Germany“ wieder eine neue Renaissance erleben.

Zur Infragestellung globaler Lieferketten gehört auch der Stellenwert der heimischen Landwirtschaft. Vielleicht trägt Corona auch zu einem Bewusstseinswandel bei, dass „Regional“ das neue „Bio“ sein kann. Vielleicht lösen heimische Sorten die „hippen“ Avocados aus Übersee ab und vielleicht wird auch von den Verbrauchern der Irrglaube in Frage gestellt, dass der ökologische Fußabdruck eines Apfels aus Neuseeland besser sein soll als der des Apfels aus der Region. Natürlich braucht letzterer ein Kühlhaus, wenn er ein halbes Jahr später noch frisch in den Verkaufsregalen liegen soll. Die Rechnung mit dem „ökologischen Fußabdruck“ geht aber nur auf, wenn man die 6.599 anderen Container und deren Inhalt (Kinderarbeit und ökologisch höchst bedenkliche Waren und Stoffe inklusive) außer Acht lässt, die von Mega-Frachtern, zusammen mit dem einen Container voller Äpfel, angetrieben durch Schweröl, über die Weltmeere geschippert werden, .

Da ist mir die Lagerung im Kühlhaus um die Ecke, versorgt mit Strom aus regenerativen Quellen, die sympathischere Lösung, genauso, wie die Vorstellung von der „neuen“ Zukunft einer erfolgreichen Provinz.

5 Kommentare

  1. A. Friend

    Es gäbe vieles zu schreiben, aber auf ein Grundproblem der Sicht will ich dann doch hinweisen. Für den schlechten Ausbau des Breitbandnetzes ist mitnichten der Markt verantwortlich. Denn die Regierung hat den Investoren eine Obergrenze der Erlöse vorgeschrieben. Dadurch wurden die Projekte aber defizitär. (Übrigens umgekehrt natürlich auch, in den Ballungsräumen sind auf Grund der Vorgaben die Profite zu hoch.)
    Dann meint der Staat das Problem durch regulatorische Eingriffe zu beseitigen und macht es naturgemäß nur noch schlechter – so wie bei den meisten Eingriffen. Erst wird der Markt manipuliert, dann wird Marktversagen „festgestellt“ und dann weiterreguliert. Am Ende steht der Sozialismus und wie das endet kennt man ja genügend aus der Geschichte.

    Dieses Grundverständnis ist leider in der Gesellschaft nicht sehr breit verbreitet.

    Schade.

  2. Stephan Krieger

    Bitte in dieser Krise Augen aufmachen. Denn gerade jetzt zeigt sich die Fratze des Kapitalismus, im Gesundheitssystem! Wenn schon gegen Sozialismus geschrieben und für weitere Privatisierung gestimmt wird, sollte dieser auch den Menschen erklären, warum Krankenhäuser und unser Gesundheitssystem plötzlich „Gewinne“ erzielen, statt Kranke heilen muss? Warum Aktionäre nicht auf Dividenden verzichten können, wenn auf der anderen Seite es staatliche Hilfe für sein Unternehmen gibt? Warum Reiche immer reicher werden, ohne für diesen Reichtum je gearbeitet zu haben? Und die meisten funktionierenden sozialistischen Staaten werden durch Sanktionen kaputt gemacht und es wird nur das gezeigt, was nicht läuft. Im diktatorischen Kapitalismus läuft auch einiges nicht… Und der demokratische Sozialismus? Bloß nicht – weil nicht sein kann, was nicht sein darf.
    Auch Schade…

    • Rüdiger Papendick

      Sehr geehrter Herr Krieger,
      bitte hinterfragen sie doch einmal den Begriff „Kapitalismus“ und was in ihm steckt. Der Homo Sapiens ist heute evolutionsbedingt ein Wesen das den eigenen Vorteil täglich wahrnimmt. Schnäppchenjäger sind ein Beispiel. Das gilt für uns in allen Bereichen des Lebens. Ist einer von Natur mit mit Verstand behaftet, so fällt es ihm relativ leicht seine Vorteile mit Kapital zu erringen, ein anderer benötigt Fleiß oder Ausdauer oder Kraft oder von allem etwas. Eingehegt wird dieses Verhalten nur durch Moral, die man durch Erziehung gewinnt und nicht durch fragwürdige Ideale, die selten etwas reales haben.

  3. Stephan Krieger

    Ja, die Zukunft muss heißen, regionale Güter und „vor Ort“, in unserem schönen Odenwald einkaufen. Sich wieder auf die Zeit freuen, wenn Äpfel reif sind, wenn es Erdbeeren gibt und wir die Zeit mit Freunden genießen können. Das muss nach Corona sein.

  4. A. Friend

    Die sozialistischen Bruderländer haben ja schon traditionell die besten Gesundheitssysteme, den besten Umwelterhalt und natürlich auch die beste Güterversorgung!

    Oder Moment, …. wie war das gleich!

    Ja, richtig, diesmal machen wir alles richtig/besser/noch besser! Es wurde nur noch nie richtig versucht!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

© 2024 Land neu denken

Theme von Anders NorénHoch ↑