Die Kinder der Kriegsjahre 1939 bis 1945 und die folgende Nachkriegsgeneration sind die Eltern der geburtenstarken Jahrgänge der 1960er Jahre. Nach Familiengründung stand der Bau eines Eigenheimes auf dem Plan. Im wirtschaftserstarkten Deutschland war Neues angesagt, in den Ortskernen wurde oft alte und historische Bausubstanz niedergelegt.

In vielen kleinen Städten und Dörfern des Odenwaldkreises entstanden damals zahlreiche Baugebiete an den Ortsrändern. Wohnen im Grünen mit großen Grundstücken war im Trend der Zeit und neben der angestammten Bevölkerung gab es damals viele Menschen aus den Städten, die, von den günstigen Baulandpreisen angelockt, aufs Land zogen und sich dort den Traum vom Eigenheim verwirklichten. Der Odenwaldkreis dürfte mit dieser Entwicklung stellvertretend für viele andere Regionen in den alten Bundesländern stehen.

Anders als in den fünfziger und sechziger Jahren, in denen die Einfamilienhäuser mit einer Grundfläche von 60 bis 70 m², entsprechend kleinen Zimmern und bereits im ersten Stock beginnender Dachschräge dominierten, entstanden dort allerdings nun Zweifamilienhäuser, die meist nach einem einheitlichen Schema gebaut wurden: Die Häuser verfügen über eine Wohnfläche, die sich über zwei vollwertige Etagen erstreckte und, in der Summe, größer 200 war. Das Dachgeschoss bildete einen eigenen, zusätzlichen Stock. Energieeffizienz spielte damals keine Rolle, heizen mit Heizöl war günstig. Große Wohnzimmer nebst Esszimmer dominierten den Bereich, in dem Gäste empfangen wurden und im Keller wurde die obligatorische Kellerbar eingerichtet. Die Bauherrin und der Bauherren zogen mit ihren Kindern für gewöhnlich in den ersten Stock, das Erdgeschoss war meist für Eltern vorgesehen, die mit in diese Häuser zogen und sowohl bei der Finanzierung als auch bei der Betreuung der Kinder halfen. Mit dem Heranwachsen der eigenen Kinder wurde in der Folge dann das brachliegende Dachgeschoss ausgebaut, so dass erster Stock und Dachgeschoss eine Einheit bildeten. Stellflächen für Autos beschränkten sich meist auf eine Garage. Gab es tatsächlich einmal mehr als ein Fahrzeug im Haus, so wurde dieses auf die relativ schmal bemessene Straße der neuen Wohngebiete gestellt. Probleme verursachte dies nicht, der Mittelklassewagen einer Familie, das Fahrzeug der Müllabfuhr oder das Feuerwehrauto – sie waren alle deutlich schmäler als heute.

Diese Konstellation war ein klassisches Wohnen dreier Generationen unter einem Dach. Die weiterführende Überlegung war, wenn die ersten eigenen Kinder groß genug waren und eine eigene Wohnung benötigen sollten, dass bis dahin die Wohnung von Opa und Oma im Erdgeschoss frei war.

Die Rechnung ging allerdings in den wenigsten Fällen auf. Zum einen hatten die Großeltern, glücklicherweise, eine deutlich höhere Lebenserwartung als Generationen zuvor, zum anderen zogen die Kinder, nach Volljährigkeit, entweder hinaus in die Welt oder sie bauten eigene Häuser. Dies passierte meist in den Neubaugebieten der 1990er Jahren, die wiederum – wie die Vorgänger, auf denen die Eltern damals bauten – auf der grünen Wiese entstanden.

Die Erbauerinnen und Erbauer der vorgenannten Zweifamilienhäuser leben heute, inzwischen bereits jenseits des 80. Lebensjahres, gemeinsam oder, wenn ein Partner bereits verstorben ist, allein in genau in diesen Häusern. Mieter mit hineinzunehmen ist in der Regel kein Thema. Alleine auf über 200 qm und mehr!

Doch die Bewohner werden nicht jünger. Und die Kinder, Enkel und Urenkel haben oft kein Interesse, die Immobilien zu übernehmen. Diese Häuser werden bald, in großer Anzahl, auf den Immobilienmarkt kommen. Wie viele das sind, offenbart ein Leerstandskataster, welches nicht nur die tatsächlich leerstehenden Häuser erfasst, sondern auch die beschriebene Situation: wo sind Häuser, die nur noch von einer ober zwei Menschen älteren Jahrgangs bewohnt werden? Gerade in den Baugebieten der 70er Jahre sind das oft 60 – 70 % aller Immobilien und mehr.

In allen Städten und Gemeinden, speziell in denen mit Bevölkerungsrückgang zu rechnen ist, sollten solche Leerstandskataster vorliegen. Es ist sträflich, wenn Gemeindevertretungen ohne dieses Wissen neue Baugebiete ausweisen, selbst wenn es sich nur um Abrundungen vorhandener Bebauung handelt. Ansonsten droht diesen Kommunen – die oft auch schon im Ortskern ein Leerstandsproblem haben – ein weiteres Problemfeld. Verantwortungsvolle Kommunalpolitiker müssen deshalb bereits heute an morgen denken.

Rot = bereits vorhandener Leerstand
Blau = Häuser, in denen 1 oder 2 Personen älter 75 Jahre wohnen

Dies bedingt auch Überlegungen, wie man die Attraktivität dieser Wohngebiete steigern kann. Kinderspielplätze waren in den 70er Jahren oft Fehlanzeige. Gibt es Möglichkeiten, diese heute einzurichten? Ist es möglich die betreffende Straße zum verkehrsberuhigten Bereich oder zur Spielstraße umzugestalten? Oder kann die Gemeinde spezielle Förderprogramme für genau diese Immobilien für junge Familien anbieten? Es gibt genügend Beispiele, in denen Kommunen mit kleinem Geld sehr positive Wirkungen erzielt haben. Ist es möglich einen Leerstand aufzukaufen und umzuwidmen? Beispielsweise statt eines Kindergartenneubaus oder -anbaus eine Leerstandsimmobilie zu sanieren und diese als Kindergarten zu betreiben? Oder schaffe ich es als Kommune ein Beratungsangebot anzubieten, wie Alleinstehende zu einer Senioren-Wohngemeinschaft in diesen Häusern zusammenfinden, die einander vertrauen und, mit gegenseitiger Unterstützung, möglichst lange ein selbstbestimmtes Leben führen können?

All dies sind Überlegungen, die heute angestellt und in die Tat umgesetzt werden müssen und innovative Kommunalpolitikerinnen und -politiker sowie Menschen auszeichnen, die sich Entwicklungen nicht tatenlos ergeben.